Bevor der natürliche Verdrängungsmechanismus die Oberhand gewinnt (so nach dem Motto, so schlimm war‘s doch gar nicht), fasse ich meine Erlebnisse vom diesjährigen Ötzi in meinem Bericht zusammen (Vorschicht – ist recht lang geraten).
Die Vorbereitung war mal wieder grenzwertig niedrig, mit einer „Delle“ im Juni und einer Erkältung Anfang August, die mich zur Unzeit ausgebremst haben. Ungefähr auf dem Level von 2011 (in Zahlen so ca. 3.200 Jahreskilometer und 33.500 hm bis zum Start). Da ich damals ganz gut durchgekommen bin, war ich deshalb nicht wirklich besorgt.
Ein zentraler Diskussionspunkt war dieses Mal das Wetter
und was soll man anziehen
. Eigentlich war ich mir am Samstag-Nachmittag schon recht sicher in meiner Wahl und hatte auch schon die Start-Nr. ans Trikot angebracht.
Am späten Abend kam dann mein Entschluss ins Wanken, als eine Rund-sms des Veranstalters auf die schlechte Wetterprognose für das Timmelsjoch hinwies und angepasste Kleidung empfahl. Die halbe Nacht habe ich noch mal hin und her überlegt, ob nicht doch noch was ändern sollte. Simmm hat dann noch mal alle Wetterstationen gescheckt und so schlimmmmm schien es denn doch nicht zu sein und 5° auf dem Timmelsjoch hörte sich für mich auch erstmal nicht so dramatisch an.
Also alles beim alten – von unten nach oben: dicke Neoprenüberschuhe (primär gegen Nässe, aber auch gegen kalte Füße), ¾ Gore-Hose mit Windstopper, Unterhemd, Windstopperhemd, Kurzarmtrikot, Ärmlinge und Gore-Weste und 2 Paar Langfingerhandschuhe – 1 Paar Dünne (noch schnell am Samstag gekauft) und ein paar dickere (keine Winterhandschuhe, die hatte ich nun wirklich nicht dabei), aber schon solche, die ich teilweise auch im Winter bei unter 10° an hatte).
Die dickeren Handschuhe habe ich dann erst mal für den Fall der Fälle unters Trikot geschoben – war ein Trick vom Simmm.
Da es morgens trocken sein sollte, haben Simmm und ich entschieden, früh am Start zu sein um möglichst weit vorne zu stehen. Wir waren dann schon um 5 Uhr
mit allem fertig und sind ungeduldig zum Start gerollt. Wir waren nicht die ersten, aber nahe dran. Die Wartezeit ging eigentlich zu zweit recht schnell rum und kalt war es auch nicht. Da habe ich bei den anderen Schönwetter-Ötzi-Starts morgens schon viel mehr gefroren.
Auf dem Aufstieg zum Kühtai wieder mal was Neues – 2 Pferde die herrenlos durchs Feld galoppierten. Wie ich später gehört habe, hat das wohl ein Teilnehmer nicht schadlos überstanden.
Oben auf dem Kühtai fängt es ein wenig an zu nieseln. Dieser Umstand und 2 Rettungswagen, die schon auf dem oberen Teil der Abfahrt in kurzen Abschnitten hintereinander 2 verunglückte Teilnehmer versorgen, lassen mich diesmal die Abfahrt vorsichtiger als sonst angehen.
Bei der Durchfahrt durch Innsbruck werde ich das erste Mal richtig nass. Den Brenner hoch ist aber meist trocken, dennoch tue ich mich gegen Ende recht schwer. Wie soll ich Jaufen und Timmelsjoch hoch kommen, wenn ich mich hier schon so quälen muss, geht es mir durch den Kopf. Ich beschließe, an der Labe etwas länger zu bleiben. Das hilft auch und ich fühle mich besser.
Wettertechnisch ist der Jaufen-Abschnitt am angenehmsten. Relativ warm und trocken. Die ersten 300 hm laufen wirklich gut. Dann fange ich an mich immer stückweise zu motivieren: „550 hm, ja die Hälfte ist rum“ und so ein Kram.
Dann wie jedes Mal im Schneckentempo das Timmelsjoch hochgekrochen. Ich kalkuliere mal so 2 h bis zur Labe und dann noch mal 1,5 h bis zur Passhöhe – genügend Puffer um vor dem Zeitlimit nach oben zu kommen. Die Kalkulation passt auch ganz gut, bin sogar etwas schneller als geplant an meinen Zwischenzeiten.
Auf halben Weg zur Labe fängt es dann an zu regnen. Zuerst nur leicht, ab Schönau dann so stark, dass das Wasser teilweise in Bächen über die Straße läuft. Erstmal ziehe ich auch bergauf die Weste an und in den letzten Kehren vor dem Tunnel wechsle ich die Handschuhe, da die Dünnen nicht mehr reichen. Neben Regen kommt zu allem Überfluss auch noch ein böiger Wind auf – fast 30 km bergauffahren alleine reicht ja nicht. Mir geht durch den Kopf, dass es das schwer erkämpfteste Trikot von allen Ötzi-Trikots in meiner Sammlung werden wird….
Die Fotografen und auch wir Teilnehmer feuern uns gegenseitig an: „Gleich geschafft, noch 2 Kehren bis zum Tunnel“, und so weiter. Bis dahin glaube ich auch noch daran: „Die Abfahrt ist ja ein Klacks, rollste halt locker runter, könnte sogar noch unter 13 h gehen“, etc.
Aber dann…
Wie und wann genau der Umschwung einsetzte, kann ich gar nicht mehr sagen. Aber rückblickend wohl unmittelbar nach der Überfahrt der Passhöhe. Ich will schalten und merke, dass ich die Hebel nicht mehr bewegen kann. Dass meine Hände so kalt sind hatte ich bis dahin gar nicht mitbekommen. Dramatisch wird es (ja, wirklich so gemeint), dass ich auch kaum noch die Bremsen ziehen kann.
Es regnet, es ist windig, es ist kalt und ich bin völlig am Ende.
Ich rutsche mehr die Abfahrt runter als dass ich fahre – ich bin noch nie eine Abfahrt mit angezogener Bremse „gefahren“. Alles andere ist mir in der Situation zu gefährlich. Ich habe wirklich Schiss, dass ich vor der nächsten Kehre die Geschwindigkeit nicht mehr rechtzeitig runter bringe, weil die Finger so kalt sind.
Jetzt geht mir die Kälte durch Mark und Bein. Den Gegenanstieg zur Mautstation zittere ich vor Kälte am ganzen Leib, die Zähne klappern so, dass mir die Kiefer schmerzen. Ich meine, mein Herz wie verrückt schlagen zu hören. Das gibt den Ausschlag, die Reißleine zu ziehen und auszusteigen.
An der Mautstation steht ein Besenwagen, der ist aber schon voll. Fast zum Glück, denn sie schicken mich erst mal in die Mautstation („Da kommt noch einer“) und in der Tat, es sitzen noch mehr zitternde und bibernde Gestalten hier und warten darauf, abgeholt zu werden.
Unten angekommen „laden“ sie uns aus. Wie komme ich zu meiner Unterkunft? Zum Glück hatte ich mein Handy dabei – das wollte ich zuerst gar nicht mitschleppen. Simmm
kommt dann mit dem Auto, regelt die Abgabe des Transponders und lädt mein Rad ein, während ich auf der Bank hocke, eingewickelt in eine Rettungsfolie. In der Unterkunft raus aus den Klamotten und erst mal unter die warme Dusche. Mit Jacke und Rettungsdecke um die Beine lege ich mich ins Bett. Irgendwann so nach 1,5 h werde ich wach und fühle mich schon deutlich besser, weil wärmer.
Jetzt gab’s auch mitfühlende Worte der Liebsten
aus der Heimat:
„Musst halt demnächst mehr bei schlechtem Wetter fahren“, „Kann man sich dran gewöhnen“, „Abhärten ist alles, Musst vielleicht mal in Eiswasser baden. Oder mit den Füssen bremsen.“
Das baut einen doch sofort wieder richtig auf.
Fazit:
Welches Fazit ich aus dem Erlebten ziehe, ist mir noch nicht so ganz klar.
Natürlich, wieder mal ein „Grenzerlebnis“ (wozu sind die eigentlich gut?).
Moralisch hatte ich mich zunächst als „Finisher“ gefühlt, da ich alle Anstiege einschließlich der Mautstation durchgestanden habe. Jetzt nagt doch wieder mehr der Frust an mir, dass ich die letzten 20 km nicht zu Ende gebracht habe.
Meine Kleidung hat für 205 km gepasst, nur für die letzten 25 hätte ich noch was anderes gebraucht (aber war es dann tatsächlich die Ausrüstung oder der fehlende Willen?). Vielleicht lag es auch an der mangelnden Erfahrung mit schlechtem Wetter in hochalpinen Regionen. Dass was mich auf der Abfahrt erwartet hat, hat mich völlig überrascht und ich hatte keine Gegenstrategie als Backup.
Fitness konnte natürlich besser sein, war aber ausreichend um durchzukommen.
Ob ich mir das nochmal antun werde? Spontan am Sonntag im Gespräch mit Simmm: „Unter keinen Umständen – das reicht“.
Mal sehen, vielleicht erst mal wieder was Gemütlicheres wie ein Alpencross in Etappen oder so…. siehe Eingang: Verdrängungsmechanismus.